Grundbegriffe des Social Justice und Diversity

  • Was bedeutet Social Justice?
  • Was ist mit Anerkennungs-, Verteilungs-, Befähigungs- und Verwirklichungsgerechtigkeit gemeint?
  • Was bedeutet Diversity?
  • Spezifizierungen des Begriffes Diversity
  • Und was heißt es, dass Social Justice und Diversity stets bei einer Analyse von Macht- und Herrschaftsverhältnissen ansetzt?

Detaillierte Ausführungen finden Sie in unserem Praxishandbuch Social Justice und Diversity (2019).

Was bedeutet Social Justice?

Social Justice bedeutet ein spezifisches Gerechtigkeitsdenken, das gleichzeitig Verteilungs-, Anerkennungs-, Befähigungs- und Verwirklichungsgerechtigkeit in den Blick nimmt. Wir verwenden den Begriff Social Justice auf Englisch, um damit ein erweitertes Verständnis von Sozialer Gerechtigkeit anzuzeigen, als es in der Tradition des deutschsprachigen Begriffs vorhanden ist.

Verteilungsgerechtigkeit und Anerkennungsgerechtigkeit

Verteilungsgerechtigkeit bedeutet, dass alle Menschen in Bezug auf das physische und psychische Leben in Sicherheit und Wohlbefinden leben können. Dabei geht es um die Verteilung von Geld und Gütern, aber auch anderer Ressourcen wie z. B. Zeit und Aufmerksamkeit.

Anerkennungsgerechtigkeit bedeutet, dass alle Menschen an gesellschaftlichen Belangen teilhaben und partizipieren können. Der Übergang zwischen Teilhabe und Partizipation ist graduell und verweist darauf, dass Menschen an etwas teilhaben können, was bereits gestaltet ist und/oder partizipieren können, indem sie Gesellschaft selbst aktiv mitgestalten und mitbestimmen. Wesentlich ist dabei der Aspekt der Freiwilligkeit: Es geht um die Möglichkeit der Teilhabe und Partizipation, nicht um den Zwang dazu.

Bei diesen Aspekten rekurrieren wir auf die Arbeiten von Iris Marion Young.

Befähigungsgerechtigkeit und Verwirklichungsgerechtigkeit

Befähigungsgerechtigkeit bedeutet, dass Institutionen bzw. die Gesellschaft Menschen etwas zur Verfügung stellen und sie auch dazu befähigen, das zur Verfügung Gestellte anwenden zu können, ohne sie dazu zu zwingen.

Verwirklichungsgerechtigkeit bedeutet, dass Menschen einen Anspruch auf die Verwirklichung ihrer Befähigungen (Capabilities) haben, wie z. B. körperliche Integrität (Bewegungsfreiheit, Sicherheit vor Gewalt) oder politische Partizipation.

Bei diesen Aspekten rekurrieren wir auf die Arbeiten von Martha C. Nussbaum.

Was bedeutet Diversity?

Diversity meint radikale Verschiedenheit und Vielfalt von Menschen in einer pluralen Gesellschaft. Kategorien von Verschiedenheit sind: Alter, Beeinträchtigung, Aussehen, Sprache, soziale Herkunft, Geschlecht/Gender/Queer, sexuelles Begehren, Religion oder Säkularität/Konfessionsfreiheit und vieles mehr. Sie gelten als gesellschaftliche Regulativa, aufgrund derer Menschen in positiver oder negativer Weise bestimmt werden, an gesellschaftlichen (ökonomischen, sozialen, kulturellen, institutionellen etc.) Ressourcen teilnehmen können oder ausgegrenzt sind, und aufgrund derer Menschen diskriminiert werden oder Privilegien haben.

In unserem Trainingskonzept verwenden wir den Begriff Diversity im Sinne eines Diskriminierungskritischen Diversity. Wir verstehen Diversity nicht als „Vielfalt, die mich bereichert“ und nicht im Sinne einer optimalen Verwertbarkeit von Menschen oder einer Leistungssteigerung in Institutionen und Organisationen, sondern vor dem Hintergrund Struktureller Diskriminierung. Diversity geht von der Frage aus, wie wir in einer pluralen Gesellschaft inklusiv, partizipativ und diskriminierungsfrei miteinander leben können.

Spezifizierungen des Begriffes Diversity

Spezifisch ist der Begriff Diskriminierungskritisches Diversity, den wir im Zuge unseres Konzeptes entwickelt haben. Das Diskriminierungskritische Diversity beschreibt eine Perspektive, die das Augenmerk auf die gesellschaftlichen Realitäten Struktureller Diskriminierung lenkt, die sich im Kontext von Macht- und Herrschaftsverhältnissen entfalten. Im Sinne von Social Justice und Diversity muss die Anerkennung der Vielfalt und radikalen Verschiedenheit von Menschen also immer verbunden sein mit einer Analyse und Kritik Struktureller Diskriminierung. Die Perspektive eines Diskriminierungskritischen Diversity zielt also nicht nur auf die Ablehnung jeder Form von Diskriminierung, sondern auch auf eine aktive Intervention in eine Gegenwart, in der Diskriminierung weiterhin die gesellschaftliche Realität strukturiert. Der Fokus auf Strukturelle Diskriminierung unterstreicht außerdem, dass die Frage nach Diskriminierung über einzelne diskriminierende Ereignisse (sogenannte ‚Alltagsdiskriminierung‘) hinausweist und Teil gesellschaftlich institutionalisierter Praxen und Funktionsweisen ist.

Unser Institut hat zudem den Begriff Radical Diversity kreiert, der zunehmend in wissenschaftlichen und künstlerischen Bereichen verwendet wird. Als Radical Diversity bezeichnen wir eine konkrete Utopie.

  • Radical Diversity meint nicht nur ein abstraktes Ziel, sondern eine kritische Praxis, der es um die Veränderung homogener öffentlich-politischer Räume, Institutionen, kultureller Praxen und Diskurse hin zu einem Mainstream der radikalen Verschiedenheit, Vielfalt und Heterogenität in ihrer Komplexität geht.
  • Radical Diversity bedeutet, auf eine Gesellschaft hinzuarbeiten, in der keine Gruppe eine andere Gruppe oder ein Individuum und kein Individuum ein anderes Individuum oder eine Gruppe diskriminiert.

In einer Situation des realisierten Radical Diversity wäre Social Justice als Anerkennungs-, Verteilungs-, Befähigungs- und Verwirklichungsgerechtigkeit umgesetzt, ohne dabei der Vorstellung zu erliegen, dass damit das goldene Zeitalter angebrochen wäre.

Ausgangspunkt: Analyse von Macht- und Herrschaftsverhältnissen

Das Konzept Social Justice und Diversity setzt bei der kritischen Analyse und Infragestellung von Macht und Herrschaft an: Macht (über die Individuen verfügen) und Herrschaft (als institutionalisierte Macht auf der Grundlage von Gesetzen, politischen Systemen und Ordnungen) sind voneinander abhängig, sie greifen ineinander und sind nicht einfach veränderbar, obgleich sie das Potential dafür enthalten. Gerade deshalb müssen sie immer wieder neu infrage gestellt und muss aktiv auf ihre Veränderung hingearbeitet werden.

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